Die französische Fotografin und Künstlerin Carole Tagliaferri verbindet künstliche Intelligenz mit Poesie und visuellem Storytelling. Ihre Werke erzählen träumerische Bildgedichte.

Fotografin und Künstlerin Carole Tagliaferri im Interview
Ihre Bilder wirken wie visuelle Gedichte: flüchtig, emotional und vieldeutig. Die französische KIKünstlerin Carole Tagliaferri findet eindrucksvolle Worte für ihre Arbeit. Im Gespräch spürt man schnell ihre Begeisterung für KI und Bildsprache.
DigitalPHOTO: Ihre Bilder wirken wie künstlerische Gemälde. Würden Sie sich selbst als Künstlerin beschreiben?
Carole Tagliaferri: Ich bin eine Übersetzerin des Sensiblen. Ich bewege mich zwischen vielen Disziplinen. Dazu gehören Fotografie, Grafikdesign und auch KI. Dabei lasse ich mich immer von einem Wunsch leiten: Ich möchte das Unsichtbare sichtbar machen.
Ich erschaffe Bilder, so wie andere Menschen Gedichte schreiben, um das auszudrücken, was sich nicht in Worte fassen lässt, um eine Emotion einzufangen, bevor sie verschwindet. Wenn ich eine Bezeichnung wählen müsste, wäre es visuelle Geschichtenerzählerin.
Wenn Sie zuvor schon als Grafikerin tätig waren, was brachte Sie dann zu ihrer Arbeit mit KI?

Es gab einen Moment, in dem mir klar wurde, dass KI keine Bedrohung, sondern ein Material beziehungsweise ein Werkzeug ist. Anfangs waren meine ersten Versuche und Umsetzungen noch mittelmäßig.
Aber eines Tages fand ich einen Faden und meine Bildsprache. Ich habe diesen Faden nie wieder losgelassen. Ich spürte, dass ich damit etwas Kraftvolles, Persönliches formen konnte. Seitdem nutze ich künstliche Intelligenz als Verlängerung meines Blicks und meiner Vorstellungskraft.
Was fasziniert Sie denn besonders an der Bild-Generierung mit KI?

Die Fähigkeit der KI, das Unerwartete zum Leben zu erwecken. Bei künstlicher Intelligenz ist immer auch ein Hauch von Chaos dabei, ein Flackern des Zufalls, ein Herzschlag mitten in der Kontrolle.
Es ist, als würde man mit einer fremden Erinnerung arbeiten: Sie weiß nichts über mich, und doch spiegelt sie Fragmente meiner Träume wider. Dieser Dialog zwischen kühler und emotionsloser Technik und dennoch roher Emotion, das fasziniert mich am meisten.
Ihre Bilder haben eine sehr einzigartige Bildsprache. Was steckt dahinter?

Ich versuche, Bilder zu erschaffen, die berühren, ohne sich erklären zu müssen. Bilder, die sich anfühlen wie eine verschwommene Erinnerung oder eine Traumsequenz, die man nur flüchtig erhascht.
Emotion entsteht oft aus dem, was wir nicht ganz verstehen. Ich liebe Stille, Mehrdeutigkeit und die Ecken und Kanten. Ich suche nicht nach Perfektion, sondern nach Resonanz.
Die meisten Ihrer Werke zeigen Frauen. Was fasziniert Sie an der Dastellung von Weiblichkeit?

Die Frauen, die ich erschaffe, sind oft abwesend, oder im Widerstand. Sie lächeln nicht unbedingt. Sie posieren nicht. Sie existieren. Sie nehmen Raum ein. Sie wirken vielleicht zerbrechlich, sind es aber nicht.
Ich versuche, sie mit Nuancen zu zeigen, fern von Klischees oder einfacher Verführung. Manchmal ähneln sie mir. Vor allem bieten sie Identifikation.
Das stimmt und dabei ist Ihre Bildsprache auch sehr einheitlich. Entwickeln Sie dafür Ihre Prompts intuitiv oder auf Basis einer klaren Idee?

Beides. Oft beginne ich mit einem sehr klarem inneren Bild, an dem ich mich orientieren möchte. Aber der Weg dorthin ist intuitiv, zumeist organisch, lang und repetitiv. Ich schreibe meine Prompts wie Gedichtfragmente. Jedes Wort zählt. Die Reihenfolge, der Rhythmus und auch die Pausen. Es ist eine Kunst für sich.
Mit welchen Tools arbeiten Sie?

Ich arbeite mit Krea, Midjourney, DALL·E und vielen anderen. Je nach Projekt kombiniere ich mehrere Bilder oder bearbeite sie später in Photoshop. Aber die Tools selbst sind mir nicht so wichtig. Wichtig ist, was sie mir ermöglichen auszudrücken.
Gibt es ein Werk, das eine ganz besondere Bedeutung für Sie hat?

Nein, ich liebe sie alle. Jedes Werk trägt einen Teil von mir in sich.
Was möchten Sie als Nächstes erkunden – technisch, thematisch oder stilistisch – auf Ihrem Weg mit KI-Kunst? Haben Sie da bereits Pläne?

Ich möchte langsamer werden. Mir mehr Zeit nehmen für den Prozess. Längere, erzählerische Serien erkunden, die sich wie Kapitel einer Geschichte anfühlen. Vielleicht auch mit Animation arbeiten, also mit Bewegung als weiterer Ebene der Emotion. Oder mit greifbaren Materialien experimentieren, etwa in Form von Fine-Art-Prints oder Buchprojekten.
An erster Stelle, möchte ich- Bilder erschaffen, die nach nichts anderem aussehen. Bilder, die bewegen, die leise verstören. Die unseren Blick hinterfragen – und von Schönheit erzählen. Bilder, die bleiben. Bilder, die etwas zum Klingen bringen, ohne laut zu sein.

Carole Tagliaferri ist Artistic Director und KI-Künstlerin aus Südfrankreich. Mit einem Hintergrund in und großer Leidenschaft für Fotografie und Design entwickelt sie visuelle Konzepte, bei denen sie künstliche Intelligenz als kreatives Werkzeug einsetzt.