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„Meine Fotografie soll eher vermitteln, wie sich eine Begegnung mit einem Bären anfühlt.“ – David DuChemin im Interview

David DuChemin ist Fotograf, Autor und ein Meister des visuellen Geschichtenerzählens. Seine Arbeiten verbinden Menschlichkeit, Natur und Kreativität auf einzigartige Weise. Im Interview spricht er über Kontraste, Emotionen und die Herausforderungen, authentische und persönliche Bilder zu schaffen.

David DuChemin im Interview: Bärenstarke Bilder

Die Lebensgeschichte von David DuChemin liest sich wie ein Buch. Als Fotograf hat er die Welt gesehen – und ging dabei nicht nur mit Bären auf Tuchfühlung. Ihm geht es aber um weit mehr, als „nur“ um scharfe Bilder.

DigitalPHOTO: Herr DuChemin, wie ist die Fotografie in Ihr Leben getreten?

David DuChemin: Als ich 14 war, habe ich bei einem Garagenverkauf im Haus eines Nachbarn eine Kamera in die Hände bekommen. Irgendetwas daran ergab für mich sofort Sinn. An allen anderen Dingen, die ich ausprobiert hatte – Gitarre spielen und so weiter –, habe ich schnell das Interesse verloren. Nichts davon hat ‚klick‘ gemacht, wie es die Kamera getan hat.

Kam dann auch schon der Gedanke, die Fotografie professionell zu betreiben?

Ich dachte darüber nach, nach der Schule professionell zu fotografieren, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich dann wahrscheinlich Hochzeitsfotograf werden und Entscheidungen nur aus finanziellen Gründen treffen würde.

Dazu fühlte ich mich nicht bereit. Während meiner Schulzeit habe ich ein paar Tage lang einen Fotografen begleitet und sehr schnell festgestellt, dass Fotografie viel mehr ist, als nur Bilder zu machen – ich verbrachte die Zeit damit, die Dunkelkammer zu reinigen, den Boden zu kehren und solche Dinge.

Sie sind schließlich einen anderen Weg gegangen und wurden nicht sofort Fotograf.

Das Wort Umweg würde für meinen Werdegang wahrscheinlich am besten passen. Nach meinem Schulabschluss führte mich mein erster Weg in den Amazonas-Dschungel, um eine Schule für Straßenkinder zu bauen.

Danach verbrachte ich viele Jahre an einem Priesterseminar und arbeitete schließlich, so verrückt da klingt, gut zwölf Jahre lang als Komiker. Aber ich blieb der Fotografie treu und nahm gelegentlich Aufträge an – sie war mein kreatives Ventil.

Was brachte Sie zum Umdenken, so dass Sie sich ganz der Fotografie widmen wollten?

Ich wurde von einer Organisation eingeladen, nach Haiti zu reisen, um als Komiker bei einer Spendenaktion mitzumachen. Als sie erfuhren, dass ich auch Fotograf bin, baten sie mich, meine Kamera mitzunehmen – und das war der Moment, in dem ich wusste:

Das ist es, was ich wirklich machen möchte. Endlich verstand ich, welche Geschichten ich mit meiner Kamera erzählen wollte. Ich ließ die Comedy-Bühne hinter mir und begann als humanitärer Fotograf zu arbeiten. Das führte mich fast sofort nach Ruanda, in die Demokratische Republik Kongo und nach Äthiopien.

Inzwischen sind Sie für Ihre Tieraufnahmen bekannt. Wie sind Sie dazu gekommen?

Mir wurde klar, dass sich mein Fokus zunehmend auf Naturschutz und Tierwelt verlagerte – weg von rein humanitären Themen. Denn ich erkannte, dass die größten Herausforderungen unserer Zeit, auch für uns Menschen, untrennbar mit Umweltproblemen verbunden sind.

Die Zerstörung der Natur, die Folgen des Klimawandels und der Verlust essenzieller Ressourcen wie Nahrung und sauberes Wasser treiben immer gravierendere Krisen voran.

Gibt es eine bestimmte Tierart, die Sie besonders gerne fotografieren?

Das ist schwer zu beantworten. Wenn ich mich aber auf eine einzige Tierart beschränken müsste, wären es wahrscheinlich Bären.

Vielleicht, weil man ihnen so leicht menschliche Eigenschaften zuschreiben kann – man schaut einem Bären ins Gesicht und sieht Persönlichkeit und Emotionen, etwas, das ein Foto von einem Adler einfach nicht rüberbringen kann. Wenn man sich meine Wildlife-Fotografien anschaust, habe ich meistens Großtiere vor der Linse.

Man kann sagen, dass ich eine Schwäche für Elefanten, Nashörner und alle Spitzenprädatoren wie Bären, Wölfe, Löwen und Leoparden habe. Man kann zwischen der klassischen Wildtierfotografie und der künstlerischen Herangehensweise unterscheiden. Welchen Ansatz verfolgen Sie?

Edward Weston sagte einmal, dass ein Foto von einem Stein mehr bedeuten sollte, als nur ein Bild eines Steins zu sein. Ob es ein Moment der Zärtlichkeit ist, etwas Spezielles an einem Tier, ein bestimmter Blick, Kraft, Anmut – vielleicht eine Interaktion zwischen einer Mutter und ihrem Jungen – ich möchte etwas einfangen, das berührt.

Mir reicht es nicht, eine scharfe Aufnahme zu machen, die aus irgendeinem Blickwinkel zu irgendeinem Zeitpunkt entstanden ist. Da muss mehr dahinterstecken.

Können Sie das vielleicht noch genauer ausführen? Was bedeutet ‚mehr‘ in diesem Zusammenhang für Sie?

Wenn man sich mein Portfolio anschaut, hoffe ich, dass man einen starken emotionalen Kern in meinen Bildern entdeckt: eine Geschichte oder zumindest ein Hauch von einer Geschichte.

Ein simples ‚So sieht ein Bär aus‘ reicht mir nicht – wir wissen, wie Bären aussehen. Meine Fotografie soll eher vermitteln, wie sich eine Begegnung mit einem Bären anfühlt.

Wenn ich das herausfinde, kann ich gezielt Entscheidungen treffen: aus welchem Blickwinkel ich fotografiere, welches Licht ich nutze, welche Blende oder Verschlusszeit ich wähle. Ich glaube, ein Foto muss eine Bedeutung haben, damit es uns emotional erreicht.

Sie sprechen von Bedeutung – worauf achten Sie, wenn Sie Ihre Bilder erstellen?

Vielleicht hilft hier die Auseinandersetzung mit den Begriffen Gegensätze und Kontrast – sie wirken besonders stark in Fotos. Wenn man beispielsweise ein junges Motiv im Kontrast zu einem älteren zeigt, wie ein Junges und seine Mutter, oder etwas Kleines im Kontext von etwas Großem, Raubtier und Beute – diese Gegensätze helfen dabei, eine Geschichte voranzutreiben, besonders wenn man nur einen einzigen Moment festhalten kann.

Anders ist es bei einer fotografischen Serie, hier wird es natürlich einfacher, Veränderung, Handlung und Konflikt anzudeuten – all die Dinge, die eine gute Geschichte ausmachen. Aber selbst in einem einzelnen Bild können wir das andeuten.

Ein Grashalm, der aus Beton wächst, oder ein Baum, der aus einem Felsen herausbricht – dieser Kontrast zwischen Organischem und Anorganischem erzählt eine Geschichte von Überwindung und dem Kampf, in unserer Umgebung zu gedeihen.

Kurzum: Ihnen geht es um weit mehr, als um das Erstellen von Bildern.

Mich beschäftigen Fragen wie: Wie denken wir darüber nach, Fotografen zu sein? Wie schaffen wir etwas, das mehr ist als nur scharf oder richtig belichtet – denn das beherrscht die Technik mittlerweile mühelos.

Wie entsteht ein Foto, das wirklich unser eigenes ist, vor dem Hintergrund, was es bedeutet, Mensch zu sein – mit all seinen Fehlern, Frustrationen und dem Wunsch, etwas Neues auszuprobieren? Ein Mensch, der sich oft in alten Denkmustern und bisherigen Kompositionen gefangen fühlt, aber dennoch nach frischen Perspektiven sucht.

Genau diese kreativen Herausforderungen formen uns als Fotografen. Und wie wir darauf reagieren, macht uns einzigartig – sei es durch unseren Umgang mit Farben oder unsere individuellen Vorlieben in der Komposition.

Diese Herausforderungen sind alles andere als trivial. Unsere Fixierung auf Technik und Ausrüstung – so wichtig sie auch ist – genügt nicht. Wir müssen darüber sprechen, was es bedeutet, kreative Menschen zu sein, denn daraus ergeben sich unzählige spannende Wege.

Der Fotograf

David DuChemin, der auf Vancouver Island in Kanada lebt, ist ein international renommierter Fotograf und Autor. Nachdem er als Komiker gearbeitet hatte, wurde er Fotograf für humanitäre Zwecke und arbeitete für globale Nichtregierungsorganisationen.

Ein lebensverändernder Unfall in Italien im Jahr 2011 führte dazu, dass DuChemin unterhalb des Knies amputiert wurde. Anschließend verlagerte er seinen Fokus auf die Tierfotografie und kehrte kürzlich von einer Reise zurück, bei der er Wildhunde in Simbabwe, Afrika, fotografierte.

www.davidduchemin.com | Instagram: @davidduchemin

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