Ratgeber

Porträts im Fotobus - bei Kai Stuht sehen sofort alle aus wie Stars

Kleider machen Leute: Kai Stuht fotografiert in einem eigens umgebauten Bus jeden, der möchte. Dabei bietet er den Porträtierten an, in andere Kleider zu schlüpfen. Im richtigen Licht sehen plötzlich alle aus wie Stars. Wir haben uns mit ihm über sein Projekt „Creative Caravan“ unterhalten.

Seiten

Seiten

Kai Stuht

Geboren in Hamburg, widmete sich Kai Stuht bereits in den 90er-Jahren der Fotografie. Seine fotografische Laufbahn entwickelte sich von der Actionfotografie über inszenierte Sportlerporträts bis hin zu Mode- und Kampagnen- Fotografie. Stuht arbeitet an verschiedenen Fotoprojekten mit Prominenten, Musikern und Sportlern, fotografiert aber gerne auch den einfachen Menschen. Mit seinem Projekt „Portrait only“ richtet er sich an alle, die vor seiner Kamera Model stehen möchten, und porträtiert sie auf eine künstlerische Weise und im für ihn typischen kontrastreichen Schwarzweiß-Look. Heute lebt und arbeitet Kai Stuht als Fotograf und Creative Director auf Zypern und tourt mit dem „Creative Caravan“ durch Europa.

kai-stuht.org

Kai Stuht erfindet sich als Fotograf immer wieder neu. Als ihm seine erfolgreiche Karriere in der Sportfotografie nicht mehr glücklich machte, wechselte er kurzerhand zur Mode, fotografierte anschließend Musikstars und kreierte weltweite Fashion-Kampagnen – alles ebenfalls mit großem Erfolg. Doch anstatt sich zurückzulehnen, begann er, an seinem bislang aufwendigsten Projekt zu arbeiten, dem „Creative Caravan“. Dafür kaufte er einen alten Doppeldeckerbus und baute ihn als Fotostudio um.

DigitalPHOTO: Herr Stuht, haben wir das richtig verstanden, Sie haben einen Bus als Fotostudio umgebaut?

Kai Stuht: In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich das tatsächlich getan. Ich habe einen alten Doppeldeckerbus gekauft. Der war schon komplett auseinandergenommen, aber natürlich noch weit davon entfernt, als fahrbares Fotostudio zu funktionieren – und dann stand ich da und habe angefangen, sehr viel Geld reinzustecken, und gemerkt, das wird teuer.

Weil es so viel umzubauen und zu beachten gibt?

Es gibt so viele Probleme, die man lösen muss. Zum Beispiel war erst einmal eine Grundsanierung des Unterbodens nötig. Dazu musste der ganze Bus aber mehr oder weniger auseinandergenommen werden. Dann haben wir die Zwischendecke entfernt und bekamen anschließend Auflagen vom TÜV, die wir einhalten mussten. Es folgten ein neuer Motor, neues Getriebe und so weiter und so fort.

Die Finanzierung stand auf der Kippe?

Glücklicherweise ist Panasonic auf uns aufmerksam geworden und miteingestiegen. Panasonic hat aber nicht nur finanziell geholfen, sondern auch bei Kontakten auf Events helfen können.

Vielleicht müssen wir noch einen Schritt zurückgehen, Herr Stuht, und auf die Anfänge des Projekts eingehen. Wie kamen Sie auf die Idee?

Ich war als Fotograf bei Motown Records in Los Angeles (bekanntes Musik-Label in den USA, Anm. d. Red.). Wir hatten damals nach einem Weg gesucht, wie wir Stars schnell fotografieren können und trotzdem mobil sind. Ich hatte bis dahin ja schon einige Stars porträtiert – und das ist oft vor allem zeitlich eine enorme Herausforderung. Manche Stars erlauben einem nur zwei, drei Minuten, andere vielleicht zehn. So entstand die Idee, dass wir viele Stars zum Beispiel bei Events fotografieren könnten – und dafür brauchten wir etwas Transportables. So entstand die Idee für den Bus. Allerdings war das damals preislich einfach nicht drin.

Damit war die Idee direkt wieder auf Eis gelegt?

Nein, nein, ganz im Gegenteil. Wenn ich mir eine Sache in den Kopf setze, bleibe ich so lange dran, bis es klappt. Die Geschichte ging dann so weiter, dass wir eine Reihe Pop-up-Stores eröffneten, um das Konzept des mobilen Fotografierens voranzutreiben. Da habe ich gemerkt, dass es heute bei Porträtfotos vor allem auf die Qualität der Kleidung ankommt.

Inwiefern?

Na ja, im Prinzip nehme ich mit meinen Bildern die Mode auf die Schippe. Ich sage, mit den entsprechenden Kleidern mache ich eine ganz andere Person aus dir. Ich habe festgestellt, je verrückter die Kleidung oder je fremder die Kleidung, desto weniger verkrampft sind Porträtierte. Und so biete ich heute im Bus, aber auch bei Live- Shootings den Leuten an, in verrückte Klamotten zu schlüpfen, und es entstehen interessanterweise ganz unverkrampfte Fotos. Das trifft schließlich auch den Kern des Projekts des „Creative Caravan“: In Kleidern, die du eigentlich nie tragen würdest, finden dich andere vielleicht gut aussehend – und du selbst bist beim Fotografieren plötzlich völlig entspannt.

Kleider machen Leute

Sagen wir so: Es geht auch darum, den Leuten einen Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, dass wir alle komplett von der Mode manipuliert sind. Ihr denkt vielleicht, dass ihr individuell seid – ich zeig euch, wie ihr wirklich individuell sein könntet, wenn ihr mutig wäret. Gleichzeitig ist das alles eine Hommage an die Mode – und es macht mit den Leuten etwas. Sie verändern sich.

Dazu ist es vielleicht wichtig zu wissen, dass Sie lange Jahre Fashion fotografiert haben. Aber Ihre Anfänge lagen in der Sportfotografie, richtig?

Ich habe viele Jahre Sport fotografiert. Wir haben ja damals unter anderem ein eigenes Rad-Magazin gemacht. Außerdem habe ich das „Useless Magazin“ herausgebracht, ein Mode-Magazin, mit dem wir viele Preise gewonnen haben. Das war ein kostenloses Heft, mit dem wir viel Aufmerksamkeit bekommen haben. Strecken daraus haben wir an internationale Sportzeitschriften wie die französische „L’Équipe“ oder die italienische „La Gazzetta dello Sport“ oder auch den „Stern“ verkauft. Dadurch hatten wir dann auch ein gutes Standing im Sportbereich und haben viele Persönlichkeiten oft auch in ungewöhnlichen Settings fotografieren können.

Sie haben unter anderem den Radprofi Jan Ullrich jahrelang begleiten dürfen.

Wir haben ja keine normalen Sportfotos gemacht – sondern haben eher dokumentarisch gearbeitet. Oder wir haben die Tour de France als unsere Bühne genutzt und Modefotos auf der Strecke inszeniert. Wir haben an einer bestimmten Stelle unsere Blitze aufgestellt und dann unsere Fotos gemacht, wenn die Fahrer durchgefahren sind. Das waren letztlich auch die Türöffner, mit denen ich schließlich eben Jan Ullrich über Jahre habe begleiten dürfen und Bilder machte, die sonst niemand machen konnte. Damals war ich ja sozusagen sein Schatten bei der Tour de France. Wo anderen Fotografen der Zugang verweigert wurde, konnte ich hin. Man kann sagen, dass die Tour de France damals ja fast größer als Fußball war. Ich habe Cover-Aufnahmen für Magazine geschossen – aber diese Sachen werden einem nach einer Zeit auch nicht mehr zugeschrieben. Das geht in die Vergessenheit. Und wenn man wie ich das Buisness wechselst, dann fängt man von vorne an. Daher wechseln auch so wenige Fotografen, denn man verliert ein ganzes Netzwerk. Man muss sich komplett neu bewähren. Neues Netzwerk, neue Kontakte, neue Leute, die man für sich gewinnen muss.

Warum sind Sie dann überhaupt vom Sport weg?

Es war schon so, dass mich die ganze Verlogenheit hinter dem Sport sehr frustriert hatte. So lange Geld gemacht werden kann, geht das Spiel weiter, aber sobald man merkt, dass es heiß wird, fängt die Verlogenheit an. Das hat mir schon sehr stark den Spaß am Sport verdorben.

Und dann haben Sie sich einer neuen Herausforderung gestellt, dem Wechsel zu Fashion?

Das war ein riesiger Prozess, der 2007 mit dem Lambertz-Kalender anfing, einer der angesagtesten Kunst-Kalender neben dem Pirelli-Kalender. Da habe ich zum ersten Mal gezeigt, dass ich es kann. 2005 oder 2006 bin ich dann bei Lumas untergekommen (Kunstgalerie, die Fotografien zu erschwinglichen Preisen anbietet, Anm. d. Red.) und habe auch gleich extrem gut verkauft. Gleichzeitig habe ich angefangen, große, weltweite Kampagnen zu fotografieren.

Und Sie haben auch begonnen, Prominente und Musiker zu fotografieren?

Genau! Dazu muss man sagen, dass ich all meine dokumentarischen Bilder, diese purste Art der Fotografie, bis 2006 mit dem Analogfilm Agfa Scala oder dem Polapan Rollfilm in Schwarzweiß fotografiert habe. Die Filme habe ich gepuscht und speziell entwickelt, um einen ganz eigenen Look zu kreieren. Außerdem habe ich mit einer analogen Panoramakamera gearbeitet, auf die ich ein Weitwinkelobjektiv montiert hatte, und so einen ganz eigenen, abgefahrenen Look erzeugt. Dann sind aber plötzlich beide Film vom Markt genommen worden, und davon war ich so genervt, dass ich mir gesagt habe, jetzt fotografiere ich nur noch digital. Dabei war es mir wichtig, den analogen Look nachzuempfinden. So wie ich es heute eigentlich auch noch mache. Der Look meiner heutigen Bilder ist schon ziemlich nah dran an den damaligen analogen Aufnahmen. Diese Art der Fotografie habe ich dann immer mehr im Musik-Business eingesetzt. In dem ich zum Beispiel mit der Bands wie Linkin Park und vor allem deren Bandleader Chester Bennington unterwegs war. Ähnlich wie damals im Sport habe ich Musiker eng, lange und intensiv begleitet. Ich habe aber auch mit anderen Künstlern gearbeitet, wie dem Rapper Xzibit, oder auch nur kurze Projekte mit Stevie Wonder, Paris Hilton oder Lady Gaga gemacht.

Das Interessante an Ihrem jetzigen Projekt ist ja unter anderem auch, dass die Grenzen zwischen Star- und Dokumentarprojekt verschwimmen. Jeder, den Sie abgebildet haben, könnte theoretisch ein Star sein – so wie Sie die Leute in Szene gesetzt haben.

Ja, genau das ist ja die Idee. Wobei man dazu sagen muss, dass in den Bus tatsächlich auch viele Promis reingekommen sind: Boss Hoss, Jennifer Rostock und viele weitere Künstler – und die haben ja auch den Vergleich. Sie wissen, dass ich sie mit ein paar Klamotten aus dem Kontext reißen kann. Daran sieht man, dass wir eigentlich keinen Unterschied machen, außer dass die Promis vielleicht ein bisschen länger fotografiert werden. Alle hatten ihren Spaß, und bei jedem funktioniert es auch, in eine andere Identität zu schlüpfen. Und jeder versteht auch intuitiv die Aussage dahinter, dass wir mit unserer Kleidung auf der einen Seite ein riesiges Elend anrichten, eine große Umweltverschmutzung, und sie uns gleichzeitig so prägt. Die Stars haben das auch schnell verstanden. Boss Hoss hat mir nach dem Shooting sogar angeboten, das Plattencover für ihre nächste Platte zu shooten, weil sie die Energie verstanden haben, die hinter dem Projekt seht, und dass ich verstehe, was ein gutes Foto ausmacht, wenn der Style und das Licht stimmen. Leider hatten wir damals keinen freien Termin finden können, ich hätte sie wirklich gern fotografiert.

Sie haben die Technik und das Licht bereits angesprochen. Wie kann man sich das Fotostudio im Bus genau vorstellen? Wie ist der Lichtaufbau?

Ich fotografiere mit der Panasonic Lumix S1R, und meine Assistenten arbeiten mit der Panasonic Lumix G9. Dazu nutzen wir das Leica DG Nocticron 42, 5 mm/F1.2. Der Lichtaufbau ist relativ einfach. Wir nehmen einen Beauty-Dish von Profoto, den knallharten, silbernen, den mag ich gerne, und eine schöne enge Wabe. Die Leute müssen dann immer genau im markierten Mittelkreis stehen. Das muss alles exakt eingestellt sein. Hinten habe ich dann noch zwei akkubetriebene Blitze stehen, die so ausgerichtet sind, dass das Ganze eine leichte kegelförmige Ausleuchtung bekommt. So entsteht der Look.

Sie gehen mit dem „Creative Caravan“ in die dritte Saison. Wie geht es weiter mit dem Projekt?

Vieles hat sich ja auch erst ergeben, als wir mit dem Projekt dann irgendwann losgefahren sind. Ich habe zum Beispiel an einer Kampagne gearbeitet, die sich „Ignorance pulls the Trigger“ nennt, die ich ins Leben gerufen habe. Dahinter steht ein klares Statement gegen die Ignoranz der Gesellschaft. Mehr als 300 Prominente und über 20.000 Menschen habe ich für die Kampagne bereits porträtiert. Sie alle formen ihre Hand zur Pistole und halten sie gegen ihr Gesicht. Es soll eine Art Weltkarte aus diesen Trigger-Porträts entstehen. Wir laden jeden Gast ein, kostenlos im Trigger-Style porträtiert zu werden. Dieses Bild steht dann auf der Facebook Seite „Ignorance“ kostenlos zum Download zur Verfügung.

Wird der Bus weitere Umbauten erleben?

Was wir auf alle Fälle machen werden, ist einen riesigen Epson-Drucker einzubauen, mit dem wir Bilder, die im Bus entstehen mehr oder weniger in Echtzeit in Übergröße ausdrucken werden und zwar aus dem Bus heraus. Das sieht dann im Prinzip aus wie ein riesiges Polaroid, vielleicht 2,5 Meter in der Breite, das aus dem Bus herauskommt. Auch ein DJ-Pult soll eingebaut werden und eine Bühne soll im Bus integriert werden.

Da Panasonic die Batterien für die Tesla-Elektroautos herstellt, liegt es nahe, dass wir irgendwann den Bus auf Elektroantrieb umbauen.

- Kai Stuht

Es bleibt also alles in Bewegung. Stillstand kommt für Sie sicherlich nie in Frage.

Ich habe ständig neue Ideen, die sich dann wieder verformen und aus denen andere Idee entstehen. Ganz ursprünglich wollte ich mich mit dem Bus zum Beispiel auf einen Flohmarkt in Paris stellen, um dort Fotos zu machen, und damit Kohle verdienen. Das hat bisher zwar noch nicht so geklappt, aber immerhin sind wir in Europa unterwegs und produzieren damit Kunst, und das ist der richtige Weg. Wir wollen mit dem Bus noch viele coole Sachen machen. Da Panasonic zum Beispiel die Batterien für die Tesla-Elektroautos herstellt, liegt es nahe, dass wir irgendwann den Bus auf Elektroantrieb umbauen. Aber das dauert noch ein bisschen, bis die Reichweiten der Batterien für einen Doppeldecker passen.

Damit sind wir auch schon am Schluss des Interviews angelangt. Eine letzte Frage noch: Kostet es eigentlich etwas, im Bus fotografiert zu werden?

Wenn wir im Auftrag von Panasonic oder von anderen Firmen unterwegs sind, dann kostet es nichts. Es gibt aber auch Events, bei denen es etwas kostet. Wenn wir zum Beispiel auf Fotomessen sind, dann kostet das erste Bild nichts.

Mehr zum Thema