News

Väter im Porträt: Interview mit Canon-Fotograf Christian Anderl

Christian Anderl zeigt in seiner Fotoserie „Väter“, was für Emotionen bei Männern ausgelöst werden können, wenn sie über ihre Kinder sprechen. Seine Bilder bewegen auf wunderbar einfache Art und Weise.

Seiten

Seiten

Die Idee ist einfach, aber genial. Ein Vater sitzt im Studio und unterhält sich mit dem Fotografen über das Vatersein. Dabei entstehen wunderbar ehrliche Augenblicke, die in Bild und Ton festgehalten werden – und nicht nur Vätern nahegehen. Denn hinter der harten Männerschale verbirgt sich immer auch ein weicher Kern. Wir haben uns mit dem Fotografen Christian Anderl über seine Serie „Väter“ unterhalten, hier gibt er uns seine Antworten.

CanonFoto: Schlicht „Väter“ heißt Ihre Fotoserie. Was verbirgt sich dahinter?

Christian Anderl: Der Gedanke dahinter ist eigentlich sehr einfach. Väter sind im Umgang mit ihren Gedanken und Gefühlen zum Thema Vaterschaft nicht so offen oder nach außen orientiert wie Mütter. Dabei finde ich das eigentlich sehr gut, dass Mütter da so einen regen Austausch pflegen. In vielen Gesprächen mit anderen Vätern hatte ich immer wieder den Verdacht, es brodelt ein Bedürfnis in Vätern, sich intensiver und offener auszutauschen.

Also haben Sie Väter in Ihr Studio eingeladen?

Genau so war es. Dabei ist mir meine 13-jährige Vergangenheit als Radiomoderator zugutegekommen. Ich habe viele Interviews, teilweise mit sehr interessanten Menschen wie Lionel Richie, Anastasia usw., geführt und diese Gespräche immer sehr genossen. Jetzt arbeite ich als Fotograf. Da war es naheliegend, Interviews mit Porträts zu kombinieren. Ich wollte auch mal ein Projekt machen, das einerseits gedruckt ist, weil ich – und ich denke, viele andere Menschen sind es auch – digital etwas übersättigt bin. Andererseits wollte ich die Vorteile der Technologien, die wir nutzen, dabei nicht komplett weglassen. Für „Väter“ lade ich einen Vater in mein Studio ein, und wir unterhalten uns eine Stunde sehr offen und intensiv über das Vatersein: Emotionen, Gedanken, Probleme, Freuden, das alles kommt auf den Tisch. Dabei wird gelacht, geweint, gestaunt und in diversen Erinnerungen verharrt. Die Ausdrücke, die bei diesen Themen entstehen, bilde ich ab. Ohne Einfluss von außen, ohne Anleitungen. Einfach ehrliche Momente im Gespräch.

Wie kamen Sie auf die Idee dazu?

Ich habe dieses Bedürfnis nach mehr offenem Austausch über das Thema Vaterschaft zuerst an mir selbst entdeckt. Dann ist mir aufgefallen, dass es in sozialen Medien inzwischen einen leichten Trend dahin gibt, dass Väter sich in Gruppen organisieren oder auf Instagram eigene Profile über ihre Vaterschaftsthemen anlegen, Blogs schreiben usw. Also wollte ich einen kleinen Beitrag leisten, um dem Thema noch etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.Die Kombination von Porträts und aufgezeichneten Interviews ging mir schon länger durch den Kopf, es hat nur noch das passende Thema gefehlt, und das verdanke ich jetzt meinem Sohn.

Ziel des Projekts ist also ein Buch, richtig?

So ist es. Druck und Audio-Interviews zu kombinieren schien mir bei diesem Projekt ziemlich logisch. Warum nicht ein Buch machen, bei dem ich den Porträtierten zuhören kann? Im Buch wird man dann zu den Fotos, die die emotionale Bandbreite des Gesprächs zeigen, über einen QR-Code und/oder Link die aufgezeichneten Audiointerviews hören können. Die Gespräche werden im Buch chronologisch sortiert nach dem Alter der Kinder. So wird das Buch nicht nur ein schön anzuschauendes Porträtbuch, sondern eine Art Ratgeber von Vätern für Väter über viele Generationen hinweg.

Wie kommen Sie mit den Vätern in Kontakt?

Auf der Website vaeter.co und auf Facebook und Instagram habe ich einfach mal kurz erklärt, worum es bei der Serie gehen wird, dass wir Interviews führen und ein Anmeldeformular online gestellt. Die ersten 100 Anmeldungen waren in den ersten zwei Wochen da. Spätestens seit ich das Projekt in London, Amsterdam und Köln bei der photokina präsentieren durfte, kommen Väter laufend auf mich zu und melden sich an. Ich habe da also echt Glück, das verselbstständigt sich gerade.

Geht es Ihnen in der Serie in erster Linie darum, Emotionen darzustellen?

Mir geht es darum, eine Art kleinen Ratgeber von Vätern für Väter zu schaffen und die Kommunikation unter Vätern, aber auch nach außen bzw. mit den Mütter ein wenig zu fördern. Das klingt hochgegriffen, aber ich denke, so ein Buch kann wirklich den Anstoß zu vielen Gesprächen geben, die sonst vielleicht nicht passieren würden. Wenn man sich als Vater in 100 Porträts wiederfindet und bemerkt, dass man nicht der Einzige mit so vielen Gedanken und Gefühlen zu dem Thema ist, fällt es auch leichter, sich auf offenere Gespräche darüber einzulassen. Ich selbst hätte mir ab dem Tag, als ich den Schwangerschaftstest gesehen habe, genau so ein Buch oft gewünscht. Ein Ort in meinem Regal, wo ich mich verstanden fühle und vielleicht sogar die ein oder andere Inspiration oder Ratschlag für meine Situation finden kann. Für all diese Momente, in denen man als Vater nicht weiterweiß, an sich zweifelt oder sich nicht richtig verstanden fühlt. Es gibt so viele Gedanken, Emotionen und Situationen, in denen es uns allen gleich geht. Wir haben so viele verschiedene Strategien mit diesen Situationen umzugehen. Und doch immer wieder Schnittmengen dabei.

In Ihren Bilder ist zu sehen, dass die Väter tatsächlich ihren Gefühlen freien Lauf lassen – wie läuft so ein Shooting ab?

Das Gespräch dauert in etwa eine Stunde. Der Ablauf ist dabei sehr individuell. Ich habe da keine vorbereiteten Fragen oder einen Katalog vor mir. Ich möchte mich auf jeden Vater wirklich einlassen können. Indem ich einfach zuhöre und Fragen stelle, entsteht ein ehrliches Gespräch. Und dann sehen wir schlussendlich, wohin die Reise führt. Ich versuche im Gespräch immer ganz aufmerksam zuzuhören und an den Stellen nachzubohren, an denen ich tiefere Gedanken oder Emotionen vermute.

Es fließen bisweilen auch Tränen – waren Sie über die ein oder andere Emotion überrascht?

Überrascht hat mich das eigentlich nicht sehr. Mir geht es selbst genau so. Wenn ich über meinen Sohn rede oder in manchen Situationen reicht es schon, ihn anzusehen, kann ich sehr schnell überraschend nah am Wasser gebaut sein. Das ist ja einer der Gründe, warum ich das Buch überhaupt machen wollte. Es tut den Väter auch mal gut, genau das rauszulassen. Die Freudentränen genauso wie die bitteren.

Wie wichtig ist die richtige Atmosphäre am Set?

Die Atmosphäre ist bei Porträts generell wichtig. In dem Fall spielt sie, wie ich finde, eine noch wichtigere Rolle. Wenn die Atmosphäre nicht passt, ist es schwer, sich wirklich zu öffnen. Wir haben uns das Set dazu sehr gut überlegt. Mein Studio ist relativ groß, das erschwert eine intime Atmosphäre. Also haben wir mit großem schwarzen Stoff einen kleinen Raum ins Studio gebaut, in dem ich mit dem Vater sitze. Mein Mitarbeiter, der bei den Porträts hilft, sitzt hinter diesem Vorhang. Er hört das Interview mit, überwacht das Audio und macht Notizen, sodass ich mit dem Vater in diesem kleinen Raum allein sein kann – und uns niemand stört. Der interviewte Vater sitzt auf einem Hocker etwas höher als ich. Und die Kamera verwende ich ausnahmsweise auf einem Stativ. Das mache ich sonst nie bei Porträts, aber in dem Fall hilft es mir, die Verbindung im Gespräch nicht zu verlieren.

Können Sie etwas über den Lichtaufbau erzählen?

Der Lichtaufbau ist sehr einfach gehalten. Ich habe vorher verschiedene Lichttests gemacht und bin mehr und mehr zu einem „One Light Setup“ gekommen mit nur einer Elinchrom Oktabox auf einem Profoto D1. Ich mag diese Box ohnehin sehr gern, weil sie sehr weiches und intimes Licht macht. Der Hintergrund ist Dunkelgrau handbemalt und bringt noch eine leichte Struktur ins Bild. Viel mehr Aufwand wollte ich auch gar nicht mit dem Licht betreiben.

Mit welcher Kamera und mit welchen Objektiven fotografieren Sie die Serie?

Die Väter-Serie ist mit der EOS R und hauptsächlich dem neuen 28-70/2.0 gemacht. Als ich diese Kombination zum ersten Mal getestet habe, war ich derart überrascht vom Ergebnis, dass ich dabeigeblieben bin. Sonst arbeite ich meist mit der EOS-1D X Mark II oder der EOS 5D Mark IV.

Sie sind schon lange Porträt-Fotograf. Was reizt Sie an dem Genre?

Menschen sind so herrlich unterschiedlich und doch oft überraschend ähnlich. Mich reizt es sehr, aus Menschen etwas herauszuholen, von dem sie kurz davor vielleicht noch dachten, das wäre nicht da. In der Porträtfotografie sind 90 % Psychologie.

Wie geht es mit der Serie weiter – kann man sich bewerben, um fotografiert zu werden?

Ja die Bewerbung ist online auf vaeter.co. Wir planen auch eine Studiotour durch Österreich, Deutschland und die Schweiz zu machen, weil wir aus den Ländern so viele Anmeldungen bekommen haben. Ich werde damit weitermachen, bis wir 100 Interviews und Porträts haben, die es ins Buch geschafft haben. Dann geht‘s in den Druck.

Gibt es ein Shooting, dass Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Das erste Shooting war wenige Wochen, nachdem wir mit unserem Sohn sechs Wochen im Krankenhaus verbracht haben. Ich habe zum ersten Mal im Leben erfahren, was echte Angst ist. Einer der ersten Gesprächspartner danach war Ali. Seine Tochter kam zur Welt, und nach nur einem Tag hat man festgestellt, dass sie einen angeborenen Herzfehler hat. Bei ihm war in den ersten Tagen nicht sicher, ob seine Tochter überleben wird. Dieses Gespräch wird mir lange in Erinnerung bleiben. Das Maß an Liebe, dass da im Raum war, als wir über unsere Kinder und diese Zeit der Verzweiflung und Machtlosigkeit, aber auch enormer Kraft und Erkenntnisse geredet haben, war auf eine schmerzhafte Weise wirklich schön.

Webseite 

Facebook

Instagram